Ultra-Radsport: Einmal nonstop rund um die Schweiz

Aus dem Magazin Sportguide 2010

Neben der Tour de Suisse der Profis hat die Schweiz auch ein hochkarätiges Rennen für Hobbyfahrer: Das Ultrarennen „Tortour“ führt über 1001 Kilometer - Nonstop. Es macht seinem Namen alle Ehre.
jok. Die Ultracyclingszene ist eine eher stille Gemeinschaft. Seit vielen Jahren finden ihre Rennen etwas abseits der medialen Aufmerksamkeit statt. In den USA, Frankreich, Österreich, Slowenien, Tschechien oder Norwegen gibt es Ultradistanz-Rennen. In der Schweiz gab es bisher den „Schweizer Radmarathon“ über 720 Km als Qualifikation zum Klassiker Race across America. Seit 2009 gibt es ein neues Rennen: Die Tortour.

Ins Leben gerufen hat sie eine radsportbegeisterte Truppe rund um das „Team Schaffhausen“, das zweimal am Race across America (RAAM) teilnahm und 2007 die Zweierwertung gewann. „Unser Traum war ein Ultrarennen in der Schweiz“, sagt Hans-Peter Narr, der mit Urs Samtleben 2007 siegte und nun zum Organisationsteam der Tortour gehört. „Wir wollten den Besten der Welt ein Rennen in der Schweiz bieten, aber auch die einheimische Szene und Firmenteams ansprechen.“
Das ist gelungen. Zum Auftakt letztes Jahr waren auf Anhieb namhafte Sponsoren und 100 Athleten am Start, darunter Weltklassefahrer wie der Briger RAAM-Champion Dani Wyss und der Slowene Marco Baloh. Und am 19. August 2010 sind mit rund 280 Startern fast dreimal so viele dabei wie im ersten Jahr.

Einmal rund um die Schweiz
Gefahren wird eine Strecke von 1001 Kilometern vom Rheinfall zum Rheinfall, einmal rund um die Schweiz. Nicht ganz rund: das Tessin wird nur an der Nordflanke, in Airolo, gestreift. Von dort geht es ins Wallis und an den Genfersee, hinauf in den Jura und über das Baselbiet entlang des Rheins zurück zum Rheinfall. Dabei müssen 15000 Höhenmeter und fünf Pässe überwunden werden. Ein Hammer für die Solofahrer, deren Schnellster 2009 mit einem 27-iger Schnitt gerade mal 39 Stunden benötigte. Noch schneller die Teams, die sich beim Fahren abwechseln und immer wieder Ruhepausen haben. Das schnellste Team kam 2009 nach 33 Stunden ins Ziel.
Dass der Name Tortour wirklich Programm ist, spüren die Athleten spätestens, wenn sie nach dem Albulapass ins Engadin hinuntersausen und sich von Zernez im Gegenwind nach Silvaplana kämpfen. Dort wartet dann mit dem Julier und fast 2400 Metern schon die nächste Rampe, an der die Luft schon ziemlich dünn wird. Bleibt das Wetter schön, belohnt einen dann die Abfahrt hinunter nach Bonaduz. Doch bei Regen wird der Grossteil dieser 64-Km-Etappe eine waghalsige Angelegenheit.

 
Der Julier mit rund 2400 Metern ist der zweite Pass im Rennen rund um die Schweiz. 


Nachts durchs Goms
Dann geht es eigentlich erst richtig los: mit Oberalp, Gotthard und Nufenen müssen noch ein paar harte Brocken weggeräumt werden. Richtig Spass macht wohl erst wieder die Abfahrt durchs Goms hinunter nach Naters. Obwohl: Nachts mit 70 Sachen bergab im Scheinwerferlicht – da kanns schon mal ungemütlich werden. „Man denkt besser nicht darüber nach, dass man auf einem 8 Kilo-Gerät und 23 Millimeter breiten Reifen unterwegs ist“, sagt Hans-Peter Narr. Er kennt das bestens: Beim RAAM fuhr er nachts in den Rocky Mountains die Kurven hinunter, und so manches Eichhörnchen hat er nur im Augenwinkel bemerkt.

 Frühjahrstraining für die Tortour: Johannes Kornacher (li) und Mario Kugler.


Velofahren in der Nacht kann wunderschön sein, aber auch gefährlich. Deshalb müssen die Teamautos die Athleten nachts immer direkt eskortieren: Sie fahren im Abstand von 15 bis 20 Meter hinter ihnen her, geben ihnen Licht und schirmen sie vom nachfolgenden Verkehr ab. Zweimal pro Stunde dürfen die Fahrer aus dem Auto Verpflegung oder Kleidung entgegen nehmen – fliegend, natürlich. Denn jeder Stopp kostet Zeit. Die Teams haben es da einfacher: Sie wechseln sowieso bei jeder der 20 Zeitstationen den Fahrer. Nur drei der Teilstrecken fahren sie gemeinsam. Dafür dann umso schneller: im Windschatten kommt ein eingespieltes Team auf ein Durchschnitttempo von 45 km/h und mehr.

Im Jura geht’s dann los
Wer allerdings glaubt, der „Tortour-Teil“ des Rennens sei am Genfersee vorüber, täuscht sich. „Im Jura warten noch ein paar giftige Rampen“, warnt Hans-Peter Narr. „Wer da die Körner schon verbraucht hat, muss vielleicht sogar schieben.“ Eine Horrorvorstellung für diese ambitionierten Hobbyfahrer, die teilweise ein beachtliches Leistungsniveau aufweisen. Zwischendurch taucht auch mal ein Ex-Profi auf, wie Dani Schnider, der bis 2005 beim Phonakteam fuhr und wohl kaum zu den Langsamsten gehören wird. Doch auch er wird heilfroh sein, wenn das Ziel am Rheinfall auftaucht. Denn eine Tortour ist eben – eine Tortour.