Betroffen sind alle: wenn Krankheit das Leben verändert

Aus der Medizin-Publikation „Periskop“ der Deutschen Krebsgesellschaft DKG

Wenn jemand schwer krank wird, sind auch der Partner und die Familie betroffen. Was Mitbetroffene tun können, um nicht müde, überfordert oder gar selbst krank zu werden.

jok. Die Diagnose einer schweren Erkrankung kommt meistens unerwartet. Zunächst ist man schockiert. „Was bedeutet das für mein Leben?“, fragen sich der kranke Mensch, aber auch die anderen: Partner, Kinder, Eltern, Freunde. Eine schwere Krankheit dringt unbarmherzig ins Leben ein. Sie zwingt zu Veränderungen und oft zu Einschränkung, Verzicht und Abschied. Auch wenn vieles bleibt wie früher: Alltag, Ziel und Perspektiven haben sich verändert. Man muss das Leben neu überdenken. Es gab ein Leben vor der Diagnose, und es gibt eins nach ihr.

Krankheit als Lernprozess
Ein schwer kranker Mensch kann viele Aufgaben nur eingeschränkt oder nicht mehr wahrnehmen. Wer plötzlich nicht mehr in der Lage ist, selbstständig zu leben, erlebt diese neue Situation oft als Demütigung. Es ist für Kranke ein schwerer Weg, damit zu recht zu kommen.
Und die Krankheit bedeutet Mehrarbeit und Mehrbelastung für die anderen. Am meisten mit betroffenen ist der Partner oder die Partnerin. Da ist man immer wieder mit Ängsten und Sorgen konfrontiert. Aber man hat auch eine neue Aufgabe. „Ich musste meine Rolle als Partnerin neu definieren“, sagt Stefanie L., deren Ehemann mit 49 Jahren an Leukämie erkrankte. Zunächst konzentrierte sich alles ihn. Stefanie L. reduzierte ihr Arbeitspensum, gab die Wandergruppe auf und verpasste immer mehr Chorproben. Bald drehte sich alles um die Krankheit ihres Mannes. „Ich wollte ihm zeigen, dass ich zu ihm halte.“ Sie hielt zu ihm, so stark, dass sie irgendwann nicht mehr loslassen konnte. Als eines Tages die Kinder fragten „Wo bist eigentlich du?“, wurde der 46-Jährigen schlagartig klar, dass sie aufgehört hatte, als eigenständiger Mensch zu existieren.

Darf man „nein“ sagen?
„Oft verstehen sich die Frauen nur noch über den kranken Partner“, sagt die Schweizer Psychotherapeutin Rosemarie Wipf. Sie veranstaltet Seminare für Angehörige Schwerkranker. „Man vergisst sich selbst.“ Oft kommt ein tief verwurzeltes Frauenbild zum Tragen. „Frauen lernen schon ganz früh, die Bedürfnisse anderer mehr wahrzunehmen als die eigenen“, erklärt Wipf. Vielleicht auch aus dem Glauben heraus, man dürfe nicht an sich denken, erlauben sie sich nicht, Nein zu sagen. Solange, bis Bitterkeit und Frust aufkommen, die sich tief eingraben.

Spirale von Stress und Überforderung
Viele Mitbetroffene mobilisieren angesichts der Krankheit zwar ungeahnte Kräfte. Trotzdem stellen sie rasch einmal fest, dass Zeit und Ressourcen nicht ausreichen, um allen Verpflichtungen nachzukommen. Und sie stossen früher oder später auch körperlich und seelisch an Grenzen. Gleichzeitig zu wissen, dass sie gar nicht aussteigen können, löst Überforderung und Stress aus. Dazu kann die Krankheit des Partners, seine Einschränkungen und Schwächen eine Wirkung auf die Beziehung selbst haben. Das löst vielfältige Gefühle aus: Enttäuschung, Angst, Groll oder gar Wut. Die emotionalen Reaktionen gelten eigentlich der Krankheit, können sich aber oft am Partner festmachen. Das kann zu schwerwiegenden Beziehungskrisen führen.

Rückschlage sind normal
Es gibt Möglichkeiten, die ungeliebte Situation neu zu gestalten. Eigentlich verändert man dabei zunächst nur sich selbst: seine Einstellung, sein Verhalten, seine Alltagsplanung. „Es ist ein langsamer Prozess, Rückschlage inklusive“, sagt Rosemarie Wipf. Doch bald kommen die entscheidenden Fragen, etwa: „Muss ich alles selbst leisten? Was kann ich abgegeben? Wer kann mir helfen?“
Es braucht vielleicht etwas Mut, andere um Hilfe anzugehen. Doch es lohnt sich: erst die Entlastung vermeidet Überforderung. Nach sorgfältiger Analyse der Probleme - zusätzliche Aufgaben, Finanzen, fehlende Freiräume, Verlustängste usw. -, können Hilfsangebote aus dem eigenen Umfeld oder organisierte Fremdhilfe die Situation wesentlich entspannen.
Eine Krankheit belastet. Aber das Leben mit ihr kann weiterhin erfüllt und wertvoll sein. Stefanie L. blickt heute zufrieden auf ihre Entwicklung. „Die Krankheit ist nicht einfacher geworden“, sagt sie, „doch wir haben gelernt, mit ihr zu leben.“