Tollkühne Männer mit fliegenden Kisten


 Aus dem Schweizer Lifestyle-Magazin "Cigar", 2006

Wie spektakulär Segeln sein kann, zeigten die A-Catamarane auf dem Lago Maggiore. In Brissago, wo sonst edle Zigarren entstehen, traf sich auf Einladung des Centro Dannemann die Weltelite der Catsegler zum Dannemann Cup. Eine Reportage von Johannes Kornacher.



Start am Dannemann Cup an der Leetonne (Foto: Centro Dannemann)



jok. So stellt man sich Regattasegeln bestimmt nicht vor. Es ist morgens um zehn, und draussen auf dem Lago Maggiore bläst der Wind mit gut 27 Knoten, über fünf Beaufort. Dazu steht eine kurze, ruppige Welle auf dem See. 55 Rennmaschinen stehen an Land bereit, die Segel knattern, die Wanten pfeifen im Wind. Segelwetter. Doch die Wettfahrtleitung des Dannemann Cup setzt die Flagge "Startverschiebung": zu viel Wind. "Es tut mir leid", sagt Rennleiter Luciano Forlini.
Andere Bootsklassen würden jetzt sofort starten. Doch die Formel 1 der Segler, die A-Catamarane, segeln bei Wind über 24 Knoten im kritischen Bereich. Zu labil sind die Boote, mit 75 Kilo leichter als die meisten ihrer Piloten. Das 14 Quadratmeter grosse Flügelsegel entwickelt einen gewaltigen Druck. Die Gefahr ist dann gross, dass die Rümpfe in einer Welle unterschneiden, sich festbohren und der Cat sich überschlägt. So können Masten, Segellatten, Segel und Schwerter kaputt gehen. Das wird teuer: Ein High-Tech-Segel aus Pentex kostet gut 1500, ein Carbonmast rund 3500 Euro.

Die Spannung steigt
Also warten. Zwei Mal fahren die Männer der Jury mit dem Schlauchboot auf den See und messen den Wind. Jetzt ist der Wind ist schwächer geworden, 21 Knoten: "Wir starten in 45 Minuten!" Bei den Seglern wächst die innere Anspannung, obwohl sie scheinbar ruhig ihre Boote vorbereiten. Jeder ruft seine innere Checkliste ab, organisiert Trinkwasser und Sonnencreme, prüft Material und Kleidung. Die Schlange vor dem WC wächst, während die Ersten schon ihre Boote zum Wasser schieben.
Glenn Ashby, dreifacher Weltmeister, zweifacher Europa- und elf Mal Australischer Meister, zieht ruhig sein Segel hoch, fixiert die Streckleinen, hängt den Baum an die Unterseite des Segels. Dann schiebt der 25-jährige Segelmacher aus dem südaustralischen Victoria sein Boot, einen deutschen Flyer Competition aus Carbon und Kevlar, Richtung Wasser.

Glenn Ashby an den Australian Championships 2009 (Foto: Ashby)


Ashby war dreizehn, als er seinen ersten Catamaran bekam. 1995 segelte er erstmals auf dem A-Cat. Ein Jahr später wurde er sensationell Weltmeister in Spanien, wo er vor der verblüfften Weltelite bei bis zu sechs Beaufort auf einem Rumpf vorwinds die Wellen hinunter raste. Seitdem ist Ashby der Star der A-Cat-Szene.

Segler durch und durch
Kein Wunder: Glenn hat fast nur Segeln im Kopf. Auch nachts. Der Wind dreht auf Nord am diesem frühen Samstagabend. Der helle Junihimmel über Brissago hat den Vorhang zugezogen, dunkel ist die Nacht, und die Lichter am Seeufer blinzeln. Die A-Cat-Segler sitzen längst im Grotto des Centro Dannemann und lassen sich Lammkotelett und Tessiner Merlot schmecken. Vor dem Dessert gehen viele noch die Masten ihrer Rennmaschinen umlegen, um dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten. Andere binden ihre Boote an Trailer und Bäume. Bei mousse o chocolat und panna cotta ist die Stimmung nach dem tollen Renntag entspannt. Segler, ihre Familien und Freunde haben sich viel zu erzählen, lachen und rauchen beim Kaffee feine Dannemannzigarren. Zwei jedoch schleichen sich davon. Irgendwann schreckt ein typisches Geräusch die feiernde Seglertruppe auf: das Knallen der Segellatten, wenn der Mast durch den Wind dreht. Wer um Gottes Willen hat jetzt noch sein Segel oben?
Es sind Glenn Ashby und Eugenio Calabria, der Italiener. Der Nordwind bläst bereits mit gut vier Beaufort, als die beiden auf einem Rumpf auf den dunklen See hinausschiessen. Nachtsegeln gehört zum Aufregendsten, was Segeln zu bieten hat. Der See gehört einem alleine, und mangels Licht ist man ganz auf sein Gespür angewiesen. Wie das Segel steht, wie die Welle aufs Boot trifft, ob der Wind dreht, die genaue Entfernung zum Ufer, das alles sieht man nicht. Segeln ist dann noch mehr als sonst reine Sache der Sinne. Da passiert es auch einem Topshot wie Ashby, dass sich auf dem „Flieger“, dem schnellsten Kurs auf dem Cat, die Rumpfspitzen in die Welle bohren, sich der Cat aufbäumt und überschlägt. Doch Segler und Material haben diesen Nachtausflug heil überstanden. Zwei Stunden später schlummert Ashby bereits in seinem Hotelbett.

Aus dem Schlaf geschreckt
Andere stehen da gerade auf. Schnell ziehen sie Kleider über und fahren hinunter an den See. Der Wind hat auf mindestens fünf Beaufort aufgefrischt. Da wird es gefährlich für die Boote, die noch den Masten oben haben. Tatsächlich haben sich bereits Schiffe losgerissen. Eines fuhr einige Meter über die Wiese, bevor es ein Anhänger stoppte. Ein Mast beginnt gerade, sich hin und her zu bewegen, und lässt den Cat tanzen. Der blaue A-Cat „Rythm’ and blue“ liegt schon quer in einem Baum, als die Retter kommen. Eine Stunde lang haben sie zu tun, um alle Boote zu sichern. Passiert ist am Ende nichts. Glück und Leichtsinn liegen oft nahe beieinander.
Ashby führt den Cup nach sechs Wettfahrten an. Letztes Jahr hat er ihn souverän gewonnen. Heute kann er seinen Triumph wiederholen. "Gut starten und keine grossen Fehler machen", nimmt er sich vor. Ashby hat acht Punkte Vorsprung vor dem Schweizer Benjamin Oudot, der aber kein Starkwindsegler ist. Die Konkurrenten aus Australien, der Schweiz, Deutschland und Italien haben nur noch eine Chance, wenn Ashby in diesem letzten Lauf schlechter als Rang 15 abschneidet.

Mit Volldampf über die Startlinie
Aber der ist in seinem Element und lässt sich den Sieg nicht mehr nehmen. Er zeigt allen, wer der Champion ist, der Michael Schumacher der Segelszene. "Glenn ist unschlagbar", sagt der deutsche Meister Reinhard Egner. In einer spektakulären siebten Wettfahrt zieht Ashby als Erster mit Vollspeed über die Startlinie, steuert sein Boot trotz ruppiger Welle ruhig und souverän zur ersten Tonne. Er macht während des ganzen Laufs keine sichtbaren Fehler. Am Ende siegt er mit Riesenvorsprung vor seinem Landsmann Scott Anderson. Der verdrängt mit diesem zweiten Platz den Schweizer Benjamin Oudot auf Rang drei. Oudot musste den Lauf aufgeben. Von den gestarteten 40 Booten kommen nur 33 ins Ziel. So mancher kentert oder havariert sein Boot. Wie der Neuseeländer Mike Drummond, neues Mitglied im Schweizer America's Cup-Sieger "Team Alinghi": Auch er muss nach einer Kenterung mit gerissenem Segel aufgeben.
Eine tolle Regatta geht zu Ende. Wer heute segelte, musste hochkonzentriert sein und mental wie physisch alles geben. Müde von diesem wilden Ritt laden die Segler ihre Maschinen auf ihre Anhänger. In einer Woche trifft man sich in Italien wieder. Und muss dann hoffentlich nicht wegen zu viel Wind an Land warten. 



Heisse Kiste: der A-Catamaran


Der australische Flyer Competition (hier mit Ashby) gilt als Trendsetter im A-Cat-Design (Foto: Ashby)

Der A-Cat ist das schnellste Einhandboot der Welt. Der erste A-Cat wurde 1965 in England gebaut. Heute gibt es weltweit sieben Hersteller. Als offene Konstruktionsklasse wurde der „A“ so intensiv weiterentwickelt wie kaum ein anderes Segelboot. Vorgeschrieben sind nur Länge (5,49 m), Breite (2,30 m) , das Mindestgewicht (75 Kilo) und die Segelfläche (13,94 m2). Mit der Verwendung von Hightech-Material wie Kevlar und Carbon wurde das Boot immer leichter, stabiler und schneller und gilt heute als die Formel 1 der Segelboote. Entsprechend hochklassig ist das Niveau in dieser Topklasse, geprägt von Profis, Olympiateilnehmern und America’s Cup-Seglern.



Links


www.segel.de/a-cat/ (GER)