Aus dem Magazin der Kindernothilfe Schweiz 2010
Rosa-Maria Häfeli hat
als Heilsarmee-Majorin über drei Jahrzehnte in Haiti gelebt. Viele Jahre
arbeitete sie dort mit der Kindernothilfe zusammen und baute insgesamt 41
Schulen auf. Inzwischen ist sie in ihre Heimat Aarau zurückgekehrt. Doch mit
Haiti bleibe sie für immer eng verbunden, sagt sie im Interview mit Johannes Kornacher.
jok. Frau Häfeli, Sie
gingen 1969 als Krankenschwester nach Haiti. Doch dann wurden Sie Schulleiterin.
Wie ging denn das?
Eigentlich sollte ich den Platz einer Schwester einnehmen,
doch sie entschied sich dann doch, zu bleiben. Also sattelte ich um und
beschäftigte mich mit dem Schulwesen. Meine Aufgabe war es dann, Land zu kaufen
und Schulen aufzubauen. Ich habe mit 100 Kindern in einer Schule angefangen.
Als ich in die Schweiz zurückkehrte, waren es 3 000.
Warum ausgerechnet
Haiti?
Ich wusste schon als 14-Jährige: Ich will als
Krankenschwester nach Haiti. Das war eine Art Berufung. Ich habe einen Vortrag
eines Arztes gesehen. Er sagte uns: Lernt etwas Sinnvolles und geht dorthin, um
zu helfen. Meine Familie war total dagegen. Ich musste kämpfen und mich
durchsetzen. Ich würde es wieder so machen.
Bald haben Sie
begonnen, mit der Kindernothilfe zusammen zu arbeiten. Wie war die
Zusammenarbeit?
Sehr gut. Offen gesagt, das waren die Professionellsten und
auch die Liebevollsten von allen Hilfsorganisationen. Sie haben sich gekümmert,
uns regelmässig besucht und uns immer ermutigt. Bei der Kindernothilfe ist die
Nächstenliebe spürbar.
Haiti wurde Ihre
zweite Heimat. Was ging in Ihnen vor, als Sie vom Erdbeben hörten?
Es ging mir sehr nahe. Ich wurde mitten in der Nacht
telefonisch geweckt. Aber ich hatte natürlich keinen direkten Kontakt nach
Haiti. Ich sah tagelang CNN und habe nur noch geweint. Ich war schockiert. Es
war schrecklich.
Sie kennen die Menschen
in Haiti gut. Wie gehen sie mit dieser Katastrophe um?
So wie mit jeder anderen auch. In Haiti gab es fast jedes
Jahr eine Naturkatastrophe: Stürme, Überschwemmungen, Feuer. Die Menschen dort
sind irgendwie daran gewöhnt. Sie jammern nicht. Sie ergeben sich in ihr
Schicksal und fangen immer wieder von vorne an. Haitaner sind zäh. Aber sie
arrangieren sich auch mit dem Elend. An vielen Orten sieht es jetzt, 5 Monate
nach dem Beben, noch genauso aus wie eine Woche danach. Viele bauen sich ihre Zelte
und Hütten neben dem Schutt, aber sie räumen ihn nicht weg.
Kann man mit
Schicksalsergebenheit ein Land wieder aufbauen?
Diese Mentalität hat historische Gründe. Die Menschen wurden
immer unterdrückt. Sie leben von der Hand in den Mund, sie waren immer arm.
Viele arbeiten nur solange gut, als man neben ihnen steht. Jetzt muss das
Ausland den Wiederaufbau organisieren. Ich glaube, die Amerikaner mit Bill
Clinton werden das gut machen.
Sehen Sie also in der
Katastrophe auch eine Chance?
Auf jeden Fall. Wenn das viele Geld jetzt nicht in
haitanische Hände kommt, wird das Land stärker als jemals zuvor. Was es braucht
sind Strassen, Wasser, Licht, Schulen, Krankenhäuser. Die Regierung ist
handlungsunfähig. Die USA und die internationale Gemeinschaft müssen das
richten. Geld und Knowhow ist genug da.
Was sind denn die
grössten Probleme in Haiti?
Armut, Überbevölkerung, Korruption und Schlamperei lassen
das Land im Chaos versinken. Viele gebildete Leute verlassen Haiti. Arme aus
den Städten, Fischer und Bauern versuchen, übers Meer zu fliehen. Scheitert
ihre Flucht, können sie nicht in ihre Dörfer zurück, weil sie sich dort
verschuldet haben, um einen Platz im Fluchtboot zu kaufen. Da ist viel, viel
Elend. Und die Korruption ist grenzenlos. Als die Kanadier kürzlich einen
Hilfscontainer ins Land bringen wollten, verlangte der Zoll 15 000 Dollar.
Sie haben mit der
Kindernothilfe 30 Jahre lang Schulen aufgebaut. Ist davon viel zerstört worden?
Ja, vieles ist kaputt. Aber nicht alles, wie man manchmal
liest. Viele Menschen hier in der Schweiz sagen mir: «Du hast 31 Jahre lang
dort so viel aufgebaut, und jetzt ist alles zerstört.» Das stimmt so natürlich
nicht. Wir müssen viele unserer Projekte, Schulen, Kinderheime und Spitäler
wieder aufbauen, das ist viel Arbeit. Aber es ist noch vieles intakt. Auch im
übertragenen Sinn: Was wir den Kindern in all den Jahren mitgegeben haben, ist
nicht zerstört. Haiti wird sich verändern, es wird Haiti besser gehen. Die
Menschen brauchen nicht so viel wie wir in unserem Luxus. Was sie brauchen,
sind vor allem bessere Chancen und Hilfe zur Selbsthilfe.