Das Leben ist eine Zumutung.
Vor allem für einen Diesel
wie mich. Die Geschichte
meines deutschen Dreckslebens.
Von Johannes Kornacher
Das musste ja so kommen! Schliesslich
ist hier Deutschland. Da macht man sich gerne das Leben schwer. Und den
anderen. Vor allem den anderen. Hier wird der fröhliche Ausdruck „Leben und
Leben lassen“ zur Hälfte verschluckt, so dass nur noch „Leben und?“ rauskommt.
Selbst dabei verschlucken sich noch manche, und dann reicht es gerade noch für
ein lallendes „Llen“. Das ist nicht viel. Aber jetzt sind wir schon vom Thema
abgekommen.
Diese peinliche Nummer als 180er
Mir als Diesel war jedenfalls stets
klar: Es wird böse enden. Schon damals, 1954, als Daimler mich als 180er
lancierte. War das peinlich! Nur 40 PS verpasste man mir, ich beschleunigte auf
100 etwa so schnell, wie drei Frauen zu-sammengerechnet für einen
Mehrfachorgasmus brauchen: glatte 39 Sekunden. Klar, Adenauer reichte das. Auch
wenn ich nicht mehr als 110 km/h schaffte. Das kann heute schon ein getuntes
Mofa mit einem (allerdings übel riechenden) 2-Takt-Motor. Alles kein gutes
Omen.
Doch ich wurde erst mal ein Erfolgstyp. Im
Wirtschaftswunder der Sechziger Jahre war ich so etwas wie der H&M der
Autoindustrie: Hauptsache fährt und die Strassen werden voll, kosten tut‘s ja
fast nichts. Egal, dass man schon am Abend vorher im Auto sitzen musste, um
vorzuglühen. Dieselfahrer erkannte man an den Russstreifen im Gesicht - wie
Indianer auf Kriegspfad. Und sie rochen wie Heizungsmonteure. Dafür konnte man
wahlweise auch Heizöl einfüllen, was bauernschlaue Landwirte für den Traktor
nutzten, denn schon damals interessierte kein Schwein, was auf unseren Feldern
los war.
Für mich als Diesel war das genetisch eine ergiebige
Zeit. Aber nicht einfach. Der Preis war hoch: Mein Image siedelte irgendwo
zwischen Drecksau und lahmer Ente. Wenn mich der Nachbar startete, war das
ähnlich schlimm wie heute, wenn er die Harley anlässt. Und wenn’s bei mir
endlich mal richtig lief, fletzten andere längst mit einem Bier auf dem Sofa.
Ausdauernd stillos
Das war, zugegeben, etwas unsexy.
Andrerseits: Ich war steuer-subventioniert, also nicht unkuhl. Und lahm, na
gut, dafür konnte ich viel länger als die anderen. Eine Eigenschaft, die
Menschen anscheinend fasziniert. Jetzt wollte man mich optimieren, und so kam
es auch: Eines Tages hatte ich fast so was wie Sexappeal. Ich wurde schnell,
und statt nagelnd-bohrend klang meine Stimme nun rauchig-bluesig wie Joe
Cocker. Oft hörte ich die Leute im Auto sagen: horch, wie leise, und ich konnte
sie deshalb reden hören, weil ich eben so leise war. Schwarze Russwolken gab‘s
auch nicht mehr: vorne, sagen wir mal, etwas introvertiert. Und hinten
blitzsauber.
Die Deutschen dachten sogar, ich sei jetzt oeko, weil ich
kaum Kohlenmonoxid ausstiess. Da hatte sich die Dieselfrage in die Spätromantik
zurückbewegt. Und weil man hier gerne alles glaubt, wenn es lange genug
behauptet wird, vor allem von der Autoindustrie und deren Regierung, wurde ich
zum Mass aller Auto-Dinge. Ich war der
Eco-Green-Blue-Tec-High-Nature-Clean-Speed-Super-Future-eierlegende
Wollmilchmotor. Dabei war ich in Wirklichkeit nur eins: eine billige Sau.
Plötzlich bin ich doch zum Kotzen
Dann hat man sich alles doch nochmal
überlegt und fand plötzlich, ich sei viel schlimmer: ein übles Schwein. Waehh,
du Diesel, pfui! Wie kann man denn nur so ein Dreckskerl sein! Warte nur, so
billig kommst du nicht davon! Jetzt zeigen wir dir mal, was deutsche
Gründlichkeit ist! Erst teilten sie mich in Klassen ein und gaben mir Kleber.
Auch sehr deutsch, Klassen und Kleber, naja, es half nichts. Immerhin fuhr ich.
Besser Euro 4 als Hartz 4. Es war dann aber doch nicht so schlimm. Zwar gab es
verschärfte Blicke, aber man drückte einen Lungenflügel zu und liess mich in
Ruhe. Manche redeten sogar nett über mich: Der Diesel, das ist doch ein lieber,
den haben wir ganz arg gern. Doch irgendwie konnte man diesem Frieden nicht
trauen.
Jetzt bin ich ein eiskalter KGB-Killer
Zu recht. Denn bald begann dieses
fiese Mobbing. Und mir ging‘s immer dreckiger. Sogar Euro 6, bisher
Wollmilchklasse, wurde jetzt zur Sau gemacht. Heute steht fest: Diesel sind die
neue Schweinepest. Wir sind alle russische Geheimdienstagenten ohne Gewissen,
aber mit Gift. Wir bringen den Tod. Das dürfen wir weiterhin, aber nur noch auf
dem Land. Findige Unternehmer kaufen jetzt flugs Land auf dem Land, stellen
Garagen drauf und vermieten sie an Dieselfahrer, die in den Städten wohnen und
den Rest mit dem Rad heimfahren. Gut, gibt es für alles eine verträgliche
Lösung.
Wir sind also noch nicht am Ende, aber bei böse. Ich mach
mir da nix vor: Die servieren mich ab. Früher oder später werden fünf
Vierteljahrhunderte Ingenieurskunst in den gelben Sack gestopft und fliegen
schwungvoll in den Container.
Erst Heilsbringer, jetzt der Hitler der
Autobahnen
Mein Erfinder Rudolf muss das schon
geahnt haben, als er 1913 in den Tiefen des Ärmelkanals verschwand. Man sagt,
er hätte sich selbst entsorgt und sei von der Fähre gesprungen. Woher hatte der
Mann diese hellseherischen Fähigkeiten, als Ingenieur? Erst machen sie ihn,
also mich, zum Superstar, Helden der Highway, Retter aller Witwen und Waisen.
Und eines Tages hauen sie mich, also ihn, nicht einmal mehr in die Pfanne. Ich,
also wir, tragen jetzt die Schuld daran, dass die Autoindustrie unsere
Energieersparnis in kriminelle Energie umwandelte. Drecksdiesel, elender! Ab in
den gelben Sack!
Lieber ein Ende ohne Schrecken
Wahrscheinlich geht’s mir ähnlich wie
der Frau vom Nachbarn. Der hat die geheiratet, weil sie vermögend war, aber
nicht gerade hübsch. Dazu war sie ein Luder und betrog ihn. Das hat er nun 40
Jahre mitgemacht, sie ein paar Mal zum Liften geschickt, aber es wurde
irgendwie nicht besser. Jetzt hat er eine jüngere, und die Alte kann schauen,
wo sie bleibt. Würde sie in den gelben Sack passen, wäre sie wohl ganz schnell
weg. _______