Süsse Babybilder – stolze Eltern


Aus der Zeitschrift "Der Beobachter", 2004

Fotos und Dokumente vom Nachwuchs spielen eine wichtige Rolle – für Eltern und ihre heranwachsenden Kinder. Daraus sollte aber kein Kult ums Kind werden. Ein Beitrag über Bilder, die Entwicklung der Persönlichkeit und über gesunden Elternstolz.

Alle lieben Babies, alle lieben Bilder von Babies. „Jöö, soo süss!“ Ein Baby muss nicht schön sein, süss ist es immer. Egal wie ebenmässig oder rotfleckig sich die Gesichtszüge des Kindes darstellen: Eltern finden ihr Baby schön. Das ist ein gesunder Ausdruck von Glück und Stolz, verständlich allemal. Nach langer Schwangerschaft mit Vorfreude, Hoffnungen, vielleicht auch Ängsten und Sorgen ist ein Kind geboren, ein Wunder der Natur. „Eine einzigartige Erfahrung, die grosse Glücksgefühle auslösen kann“, sagt Peter Angst, Psychologe und Familientherapeut in Winterthur. Sind Kind und Mutter gesund, ist das Glück perfekt. Der Beginn eines neuen Lebensabschnitts ist ein emotionaler Höhepunkt für die Eltern. Klar, dass man davon Bilder festhalten und sie anderen zeigen will. 

Die Kraft der Bilder

So knallhart wir uns auch geben möchten, bei Babybildern schmilzen wir dahin. Selbst der schwierigste Chef erhält mildernde Umstände, wenn er Bilder seines Babies im Büro herumzeigt. Babybilder haben eine starke emotionale Komponente, wissen Marketingfachleute. Die Bilder von Neugeborenen in der Basler Zeitung (BAZ) waren einst Stadtgespräch. Eltern durften Fotos ihres Babies gratis in die Babygallery stellen. „Bringen Sie Ihren kleinen Liebling in die BAZ“, hiess es. Babybilder sind auch für die Frauenklinik SRO in Langenthal ein Hit, die auf ihrer Website neben Information und Beratung auch Bilder ihrer Neugeborenen veröffentlicht.




Warum dokumentieren?

Kinderbilder dokumentieren Entwicklungsphasen. Sie lassen die Faszination der Entwicklung vom „kleinen Wurm“ bis zum grossen Menschen erleben. Viele Familien legen für ihre Kinder Fotoalben an. „Wir haben von unseren Dreien so manches Album gefüllt, vor allem als sie noch klein waren“, sagt Yvonne Meier aus Uster. Einen Teil der Bilder behält sie für sich, der Rest ist für die Kinder. „Sie sollen sie behalten, auch um sie eines Tages ihren eigenen Kindern zu zeigen.“


                                                    Solche Bilder freuen uns ein Leben lang.


Bilder sind wichtig für ein Kind. Sie zeigen ihm den Zusammenhang seiner Lebensgeschichte auf und helfen bei der Identitätsbildung. „Ohne die Fotos und Videos aus der Kindheit würde mir etwas fehlen“, findet Rebecca (15). Sie sieht sich auch heute immer wieder die Bilder ihrer Vergangenheit an. Auch der dreijährige Yannick kramt regelmässig seine Fotos aus der Schachtel und betrachtet sie eingehend. „Die Bilder bedeuten ihm etwas“, stellt sein Vater Peter Franken fest. Bilder vermitteln Kontinuität und Sicherheit. „Eine Dokumentation von Bildern aus der eigenen Kindheit gehört zum gesunden Aufwachsen“, sagt der Psychologe Peter Angst.



Wenn Stolz falsche Blüten treibt

Was aber, wenn gesunder Elterstolz zum kranken Kinderkult wird? Das kann dann passieren, wenn das Kind zum sinngebenden Mittelpunkt im Leben seiner Eltern wird. „Wenn sich alles ums Kind dreht, ist eine Fehlentwicklung vorprogrammiert“, beschreibt Peter Angst. Die Gefahr der Verwöhnung ist dann gross. Eltern züchten sich damit kleine Tyrannen und Egoisten, findet Angst. Häufig haben Bilder dann eine übersteigerte Funktion. Daheim entstehen Gallerien von Kinderfotos, die dann oft nicht mehr das natürliche Kind darstellen, sondern kleine Erwachsene, ausstaffiert nach den Vorstellungen der Erwachsenen. Videofilme dokumentieren dann nicht einfach die ersten Schritte des Sprösslings, sondern sind produziert wie Kinofilme. Für solche Kinder werden keine Geburtstagsfeste mit Schoggikuchen für Freunde und Grosseltern organisiert, sondern Megaparties mit Zauberern, Clowns und 50 Gästen. Bilder aus der Werbewelt ewig lächelnder Glücksmenschen lehren Kinder, dass Leben „schön sein und noch schöner“ bedeutet. „Dabei ist es die Begegnung mit der Wirklichkeit“, so der Münchner Pädagoge Helmut Zöpfl, „aus der Kinder ein sinnerfülltes Verhältnis zur Welt gewinnen.“

 

Stolz kann auch Kompensation sein

Eltern, die ihr Kind zum Star machen, tun ihm keinen Gefallen. „Immer im Rampenlicht zu stehen bedeutet Stress für ein Kind und führt über kurz oder lang zu Auffälligkeiten“, weiss Peter Angst. Oft ist solch ein Starkult mit übersteigertem Ehrgeiz und Stolz der Eltern verbunden. Eltern neigen dann dazu, ihre unerfüllten Erwartungen an sich selbst auf ihr Kind zu übertragen. Das lässt sie Probleme oft übersehen oder falsch einschätzen. Und was man sich selbst nicht zutraut oder verpasst hat, soll nun das Kind richten. Beispiel: Kinder quälen sich und Nachbarn am Klavier, ihre Eltern überhören aber auch die schrägsten Töne, weil sie selbst gerne Klavier gelernt hätten. Peter Angst berichtet vom Vater eines Schulverweigerers, selbst eher scheu und gehemmt, aber stolz auf sein rebellierendes Kind. “Der fand das toll, weil er dazu nie in der Lage war.“ So manche Eltern wollen auch nicht erkennen, dass ihr Kind ein ganz normaler, durchschnittlich begabter Mensch ist – so wie sie selbst. Sie drängen auf eine Abklärung, weil sie ihr Kind für hochbegabt halten. „Meistens sind diese vermeintlichen Wunderkinder völlig durchschnittlich“, so Angst.


Stolze Eltern, stolze Kinder

Kinder übernehmen Haltungen und Werte, die ihnen ihre Eltern vorleben. Eltern, die auf ihr Wohlsein achten, in Beruf, im Privaten und Sozialen Herzblut und Engagement zeigen, sind Vorbild für ihre Kinder. Dann könnten nicht nur Erwachsene stolz sein auf ihre Kinder, findet Peter Angst. „Toll wäre doch, wenn die Kinder auch auf ihre Eltern stolz wären.“






TIPPS Schöne Welt der Bilder

Wie halten wir die Entwicklung unseres Kindes fest?



·                     Einsteiger: gut überlegen, welches Format sich am besten eignet

·                     Bilder sollen keine heile Welt, sondern die Wirklichkeit darstellen

·                     Regelmässig, aber nicht inflationär Bilder machen

·                     Bitte keinen Bilderkult!

·                     Filmen: laufende Bilder haben besonderen Reiz

·                     Höhepunkte, wichtige Anlässe im Bild festhalten

·                     Originell: jedes Jahr am selben Ort ein Foto machen

·                     Fotoalben: eines für die Eltern, eins fürs Kind

·                     auch Tonbandaufnahmen und Videos aus der Kindheit sind toll

·                     Respekt: fragen Sie ihr Kind, bevor Sie Bilder an Dritte weitergeben